Inzwischen ist sie ja Profi. Rein ins Krankenhaus, warten, Blutentnahme, warten. Gespräch mit dem Arzt über die aktuelle Medikation und den Stand der Dinge. Einen der wenigen bequemen Plätze ergattern, auf die erste Infusion warten. Das Anpieksen vom Port nimmt sie inzwischen total locker, denn sie weiß ja, das ist eigentlich der harmloseste Teil. Die Schwestern sind freundlich und plaudern auch kurz während ihrer Arbeit, müssen dann aber schnell weiter, da sie mehr Patienten als Zeit haben. Seit Riekes erster Chemo hat sich auf der Onkologie viel verändert. Fast alle Ärzte sind gegangen, statt des angenehmen großen Ruheraums gibt es jetzt nur noch einen schmalen Flur und ein winziges Zimmerchen. Rieke mußte im Laufe ihrer fünfmonatigen Behandlung immer wieder neuen Ärzten erklären, was Sache ist. Das strengt an, denn schließlich sollten die Ärzte doch genau das wissen. Aber Aufregen bringt nichts. Und schneller gesund wird man davon auch nicht. Also warten auf die nächste Infusion, auf den Arzt, darauf, endlich wieder nach Hause gehen zu können.
So ein Chemotag kann sich gerne mal acht oder zehn Stunden in die Länge ziehen, bis alle Flüssigkeiten den Weg in ihren Blutkreislauf gefunden haben. Man merkt, wie die anfängliche gute Laune sinkt und es ihr immer schlechter geht. Sie steckt die Behandlung inzwischen zwar viel besser weg als am Anfang, aber man sieht, wie sich der ganze Körper sträubt. Wir lenken ab, so gut es halt geht, schnacken mit den anderen Patienten und sorgen für Kaffeenachschub, aber immer wieder geht der Blick zu dem vollgehängten Tropf. Sie muß aushalten, abwarten und einfach daran glauben, dass dieses ganze Zeug, von dem es ihr manchmal so schlecht geht, dass sie das Bett nicht verlassen kann, diesen kleinen dunklen Schatten auf der CT-Aufnahme auslöscht.
Das hier ist wahrscheinlich Riekes letzte Chemotherapie.
Gerade hat sie nach langem Warten die Untersuchungsergebnisse bekommen. Die Tumore haben sich zurück gebildet, der Krebs ist weg. Trotzdem werden noch zwei weitere Untersuchungen gemacht, um ganz sicher zu gehen. Eigentlich sollte alles gut sein. Aber so richtig trauen kann sie dem Frieden noch nicht. Ein bißchen Ungewissheit bleibt wohl immer, aber die Freude überwiegt erstmal. Endlich nicht mehr von Chemo zu Chemo hangeln, endlich wieder was unternehmen können. Der Körper braucht jetzt erstmal Zeit, sich zu erholen. Die Medikamente werden langsam abgesetzt. Endlich kein Kortison mehr, dass ihr Gesicht so aufgedunsen hat, endlich keine Schlafstörungen mehr. Kein ewiges Desinfizieren und waschen und Schutzmasken. Dafür vorsichtige Gedanken in die Zukunft: Wann beginnt die Reha? Wann kommen die Haare wieder? Muß doch noch bestrahlt werden? Wann ist das unsichere Gefühl weg? Geht es überhaupt jemals? Kommt dafür der Krebs vielleicht eines Tages wieder? Oder versteckt er sich gerade nur?
Krebs verändert einen.
Nicht nur körperlich, seelisch genauso. Auch da trägt man Narben davon. Wut, Angst und Depressionen hinterlassen Spuren, einige Freundschaften zerbrechen, andere werden noch stärker. Es entstehen neue Verbindungen, die man nicht für möglich gehalten hätte. Und man lernt vor allem eines: das alle schönen Dinge auf der Welt nichts bedeuten, wenn man nicht gesund ist. Umso mehr kann sie es hoffentlich jetzt genießen und feiern: das Leben.