Homeshootings sind ja eine wirklich tolle Sache. Und manchmal wirklich besonders. Ich hatte die Ehre, an einem verregneten Sonntag Raphael zu fotografieren, ein wirklich lieber Kerl, in einer süßen Dachgeschoßwohnung auf dem Land. Das besondere ist, das Raphael in seiner Freizeit in der Olivia Jones Bar auf St. Pauli arbeitet. Nicht hinter dem Tresen, sondern als Drag Queen. Die bekommt man normalerweise in voller Montur, mit viel Glitzer und Show zu sehen. Ich durfte dagegen die Verwandlung vom netten Jungen in die Showlady fotografieren.
Ich fotografiere, Raphael beginnt mit dem Make Up und nebenbei plaudern wir über alles, was uns in den Sinn kommt. Wie man eigentlich Dragqueen wird. Raphael erzählt mir von seiner Vergangenheit, von seinem eigentlichen Beruf, von der Gradwanderung zwischen zwei Leben. Wie unerwartet kompliziert es sein kann, als Mann raus zu finden, wie das mit dem Make Up richtig geht. Von Plastikbrüsten und aufdringlichen Kiezbesuchern. Von Showeinlagen, Junggesellenabschieden, Frauenschuhen in Größe 48. Ich bekomme einen Blick hinter die glitzernde Fassade einer Kiezlady und es ist wahnsinnig spannend. Spannend ist auch die Verwandlung an zu sehen. Würde man Raphael so auf der Strasse begegnen, man käme niemals auf die Idee, dass er zweimal die Woche in Kleid und High Heels auf der großen Freiheit zu finden ist. Aber mit jedem Schritt der Veränderung des Äußeren verändert sich auch sein Auftreten, die Bewegungen werden weiblicher, die Stimme weicher. Auf einmal ist aus Raphael Ella Mortadella geworden. Ich bin fasziniert, mit wie viel Detailreichtum und Akribie ein solcher Auftritt vorbereitet wird. Als Frau macht man sich ja meistens weder Sorgen um Adamsäpfel noch über fehlende Brüste, aber Ella muß bestens vorbereitet sein. Eine Nacht auf dem Kiez ist lang und voller Überraschungen, da darf nichts verrutschen oder wackeln, nachbessern ist selten möglich.
Ein Drag Queen Shooting der etwas anderen Art. Als wir kurz rausgehen, halten wir unbeabsichtigt den Verkehr auf. Die glitzernde, ohne Schuhe schon 2,04 Meter große Gestalt erregt in einem Örtchen wie Diesem doch Aufsehen. Ella erfüllt ihre Rolle, trotz – oder vielleicht wegen auf dem Fahrrad vorbeifahrender Touristen. Nach dem Shooting sitzen wir bestimmt noch eine Stunde zusammen. Ich gehe mit dem Gefühl, einen neuen Freund gewonnen zu haben. Oder Freundin. Je nach Tag.
Danke, dass ich dabei sein durfte.