Ab und zu setzt sich ja eine Idee in den Kopf, die sich im ersten Moment ganz einfach anhört. Ich wollte Blinde Menschen porträtieren. Vor einem schlichten Hintergrund. Wie die Fotos aussehen sollten, wußte ich ziemlich schnell. Ich war aber vor allem auf die Personen an sich gespannt. Wie benimmt sich ein Mensch vor der Kamera, der sich selbst und mich nicht sehen kann? Wie bewegt er sich? In meinem persönlichen Umfeld habe ich niemanden, der sehbehindert ist, das Thema war also absolutes Neuland. Aber dieser Gegensatz, ein Portrait eines Menschen, für den das Ergebnis völlig irrelevant ist, der es nicht einmal sehen kann, ist für mich wahnsinnig spannend.
Somit begann mein Projekt mit der großen Frage: wo bekomme ich blinde Personen her? Im Internet stieß ich dann auf einen Sehbehindertenverein. Sie erklärten sich bereit, meinen Aufruf in ihrem nächsten Newsletter weiterzuleiten. Einige Zeit später bekam ich dann auch die ersten Anrufe und Emails von Menschen, die mitmachen wollten. Und so bekam mein Projekt Gesichter. Die meisten kamen in Begleitung. Für jeden Einzelnen nahm ich mir ausgiebig Zeit, erfuhr etwas über den Menschen und sein Umfeld. Und über die Formen der Erblindung; es gibt nur wenige, die von Geburt an blind sind, bei den meisten entwickelt sich das über Jahre, manchmal durch Krankheiten wie Diabetes bedingt. Und die meisten konnten immerhin noch Schemen oder Licht erkennen. Und auch erstaunlich genau die Kamera ansehen. Eine Teilnehmerin, die tatsächlich noch nie sehen konnte, konnte das Blitzlicht wahrnehmen, was sie wahnsinnig freute. Sie wollte gar nicht aufhören.
Am Ende bekam jeder von ihnen den Selbstauslöser in die Hand und sollte sich selbst positionieren und abdrücken. Das war der spannendste Teil des ganzen Shootings. Denn wo ich vorher vorgegeben hatte, wohin sie gucken sollten, waren sie jetzt frei. Und hatten sichtlich Spaß daran. Die Fotos sind ganz am Ende zu sehen.
Nebenher erfuhr ich viel über das Leben als blinder Mensch. Ein Mädchen, das sehr viel Wert auf ihre pinken Haare legt und extra noch einmal nachgefärbt hatte, macht zum Beispiel Vorsorgeuntersuchungen auf Brustkrebs. Denn wer nichts sieht, fühlt tatsächlich besser. Eine andere ist Sängerin. Eine ist durch eine OP erblindet und findet sich noch nicht zurecht. Einer arbeitete im Vertrieb und genießt jetzt seine Rente. Ich war beeindruckt, wie selbstsicher die meisten nur mit Blindenhund oder Stock ihre Wege durch das Studio fanden. Jeder, der im Stockdunklen in einer fremden Wohnung mal den Flur lang getastet hat, weiß, wie hilflos und unsicher man plötzlich ist. Und auch aus der Welt der Social Media ist man nicht ausgeschlossen, bloß weil man nichts sieht. Die Handys lesen alles, was man will, in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit vor. Ich habe nicht ein Wort verstanden, aber ich übe das ja auch nicht seit Jahren. Dafür musste ich mir bei den Anweisungen extra viel Mühe geben, denn Handzeichen oder ähnliches brachten logischerweise nichts. Und der Satz „Guck bitte mal hierhin“ sorgte zwar für Gelächter, aber nicht für die gewünschte Blickrichtung. Es war also nicht nur für meine Teilnehmer, sondern auch für mich eine spannende Erfahrung und ich bin froh, einen Einblick in diese Welt bekommen zu haben.
Und hier noch die „Selfies“.. Nennen wir sie mal Selbstportraits. Finde ich doch schöner.